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19.10.17 –
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Heil,
Ihre beharrlichen Versuche, die Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Förderung und Verbesserung des Radverkehrs - wie die Öffnung weiterer geeigneter Einbahnstraßen in Gegenrichtung für den Radverkehr (z.B. Bischof-Dirichs-Straße) - als „Schnee von gestern“ und „rechtlich abwegig“ zu diskreditieren, können nicht unwidersprochen bleiben. Wie Ihnen und Ihrer Verwaltung bekannt sein dürfte, hat sich die Rechtslage für den Radverkehr mit der 46. StVO-Novelle, die am 01.09.2009 in Kraft getreten ist, entscheidend verändert. Der Verordnungsgeber hat die Erkenntnis, dass der Radverkehr „umwegempfindlich“ ist, in seiner Novelle vom September 2009 ausdrücklich berücksichtigt und die Voraussetzungen für die Einbahnstraßenfreigabe stark vereinfacht. Unter den nachfolgenden Voraussetzungen
• Tempo 30-Straße
• ausreichende Begegnungsbreite
• wo erforderlich, ist Schutzraum anzulegen
• übersichtliche Verkehrsführung
besteht eine Verpflichtung zur Öffnung (§§ 45 Abs. 1 u. 9 StVO). D.h., der Radverkehr in Gegenrichtung muss zugelassen werden, außer in atypischen Sonderfällen, in denen es dann einer besonderen Begründung der Nichtzulassung bedürfte. Die entsprechende Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 220 nennt zwar eine Kann-Regelung und stellt somit die Freigabe in das Ermessen der jeweiligen Ordnungsbehörde. Dieses Ermessen findet aber seine Beschränkung in § 45 Abs. 9 StVO, der Verbote des fließenden Verkehrs nur dort erlaubt, wo „auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt“.
Den fließenden Radverkehr in einer Richtung zu verbieten, ist damit nur bei Vorliegen einer besonderen, das allgemeine Verkehrsrisiko übersteigenden Gefahrenlage zulässig. Da Radverkehr in beiden Richtungen regelmäßig die Unfallzahlen nicht erhöht, sondern sogar senkt, wäre für eine Einbahnstraße unter Einbeziehung des Radverkehrs im Einzelfall nachzuweisen, ob hier wirklich eine besondere, atypische Situation und Gefahrenlage vorliegt. Ansonsten ist das Verbot des Radverkehrs in einer Fahrrichtung rechtlich unzulässig.
Diesen Nachweis, sehr verehrter Herr Bürgermeister Heil, sind Sie uns GRÜNEN und der fahrradfreundlichen Bevölkerung in Oestrich-Winkel bislang schuldig geblieben. In der Bischof-Dirichs-Straße besteht nach unserer Auffassung objektiv keine außerordentliche Gefahrenlage und es ist auch nicht erkennbar, weshalb ein Einfahrtverbot für Fahrräder geboten sein müsste.
Verkehrsbeschränkungen aus diesen Gründen sind aber nach § 45, Absatz 9 StVO unzulässig. In der schriftlichen Stellungnahme Ihrer Verwaltung vom 28.04.2016 wird bezüglich des GRÜNEN-Antrags zur Öffnung weiterer Einbahnstraßen für den Radverkehr festgehalten: „Hier wurde bereits bei dem Termin am 23.07. 2014 entschieden, dass nach Abschluss der Bauarbeiten geprüft wird, ob die Einrichtung des Radverkehrs in Gegenrichtung zugelassen werden kann. Aufgrund des Ausbaus des Bürgersteigs und des gegenüberliegenden Straßenstreifens muss noch geklärt werden, wie sich die Verkehrssituation in Zukunft darstellt. Hierzu kann derzeit noch keine Auskunft erteilt werden. Je nachdem, wie sich die Parksituation künftig in dieser Straße darstellt, sollte auf die Einrichtung von Radverkehr in Gegenrichtung verzichtet werden. …“
Ein entsprechendes Prüfergebnis wurde nie vorgelegt. Insofern, sehr verehrter Herr Bürgermeister, sind auch Ihre jüngsten Hinweise im Rahmen der letzten Stadtverordnetenversammlung am 04.09. 2017 - und ihre vehemente Weigerung, den Fahrradverkehr effektiv zu fördern - nicht sachdienlich. Aus der einschlägigen Fachliteratur ist zu entnehmen, „dass die Abwehrhaltung vieler Verkehrsbehörden und Polizeimitarbeiter gegen Einbahnstraßenaufhebung und Öffnung oft nicht auf Verkehrssicherheitsgründen basiert, sondern das Ziel verfolgt, die Flüssigkeit des Kraftfahrzeugverkehrs zu optimieren und den Parkraum zu maximieren.“ Das ist erkennbar auch die Argumentation Ihrer Verwaltung in dem w.o. bereits zitierten Vermerk (28.04. 2016 FB I.36, Öffentliche Ordnung) in einer Stellungnahme für den Ausschuss Umwelt, Planen und Bauen (UPB).
Mit diesem Status quo einer fahrradunfreundlichen Infrastruktur in unserer Kommune geben wir uns nicht zufrieden Herr Bürgermeister Heil. Wir werden Ihr „Nein“ zur Öffnung weiterer Einbahnstraßen nicht akzeptieren, sondern uns in Zeiten, in denen das Fahrrad in den Städten weltweit als eines der wichtigsten Verkehrsmittel der Zukunft diskutiert und eingeführt wird (vgl. Kopenhagen, Wien, Amsterdam, Hamburg, Münster, Oldenburg, Bremen, Freiburg), weiterhin für kommunale Verbesserungen im Oestrich-Winkeler Radverkehr einsetzen.
Die zitierte Änderung von StVO nebst dazugehörigen Verwaltungsvorschriften (VwV zu Zeichen 220), die die Voraussetzungen zur Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung erleichtert, ist im übrigen Ergebnis einer breiten Sicherheitsforschung (siehe Links/Anlage).
Wir erlauben uns Ihnen in der Anlage eine pdf.-Datei des StVO/ERA Seminars des ADFC-Hessen (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub) vom 29.03. 2014 mit weiteren Links zur Verfügung zu stellen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Rechtsauffassung des Bundesverkehrsministeriums zur Einbahnstraßenöffnung im Rahmen des Vortrags von Ulrike Schillemeit (Deutsches Institut für Urbanistik), Folie 16/2010.
Für meine Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Oestrich-Winkeler Stadtparlament ist es völlig unakzeptabel und sachlich nicht nachvollziehbar, dass Ihre Verwaltung und Sie als Bürgermeister das zukunftsorientierte Thema Radverkehr nicht nachhaltig fördern wollen und selbst einfachste Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs in unserer Kommune blockieren.
Dr. Ute Weinmann (Fraktionsvorsitzende BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), 17.10.2017
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