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13.11.16 –
Im Kontext der kontrovers geführten Diskussionen über eingeleitete Maßnahmen zur Ausweisung neuer Baugebiete an den Ortsrändern Oestrich-Winkels richtet die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihren Fokus weiterhin auf die innerstädtische Entwicklung. Dass für uns die nachhaltige Innenentwicklung Vorrang vor der Erschließung neuer Baugebiete hat, ist hinlänglich bekannt.
In dem Ihnen vorliegenden Antrag fordern wir den Magistrat auf,
ab 2017 das zukunftsweisende Förderprogramm „Jung kauft Alt“ mit einem Volumen von zunächst 50.000 Euro pro Haushaltsjahr einzurichten.
Mit Rekurs auf vorliegende Förderrichtlinien in anderen Kommunen eine entsprechende Förderstrategie für Oestrich-Winkel zu entwickeln.
Sich zwecks Erarbeitung eines automatisierten Leerstandskatasters für Oestrich-Winkel mit dem Hessischen Landesamt für Bodenmanagement und Geoinformationen in Verbindung zu setzen, um reale und potenzielle Leerstände automatisiert ohne großen Personal- und Zeitaufwand aus bereits vorhandenen Datenquellen aufzuzeigen und regelmäßig fortzuführen und diese Informationen für weitere Stadtentwicklungsmaßnahmen zu nutzen.
Meine Damen, meine Herren, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass das zukunftsweisende Programm „Jung kauft Alt“ zwei wichtige Ziele verfolgt:
Die Bevölkerungszahlen in unserer ländlich ausgerichteten Kommune sollen stabilisiert und erhöht werden, indem junge Familien durch Zuschüsse darin unterstützt werden, alte (aktuell oder demnächst leerstehende) Häuser in den vier Ortskernen Oestrich-Winkels zu kaufen und diese zu sanieren. Außerdem soll mit diesem innerörtlichen Ansatz sowohl der drohenden Verödung der Ortskerne als auch dem weiteren Freiflächenverbrauch und dem Leerlaufen der Infrastruktur (Schule, Kitas, Gesundheitsversorgung) entgegengewirkt werden.
Das sind Schwerpunkte und Ziele der integrierten Stadtentwicklung, die wir GRÜNEN bereits im Rahmen rot-grüner Mehrheiten und im letzten Wahlkampf offensiv vertreten haben und an deren Umsetzung wir kontinuierlich weiterarbeiten, jetzt allerdings in der Rolle der Opposition.
Meine Damen, meine Herren, wir sind der Auffassung, dass die derzeitige einseitige Fokussierung auf die Ausweiterung neuer Baugebiete „Auf der Fuchshöhl“, „Scherbel“ usw. nicht ausreicht, um einerseits die Bevölkerungszahlen mittel- und langfristig stabil zu halten und andererseits den aktuellen und potenziellen Leerständen in den Ortskernen entgegenzuwirken. Hinzukommt, dass viele junge Menschen/Familien bewusst nicht in Neubaugebieten leben möchten, sondern durchaus die alten geschichtsträchtigen Ortskerne bevorzugen. Daher müssen in der kommunalen Stadtentwicklung quasi in einem parallelen Prozess vielfältige weitere Maßnahmen zur Förderung junger Familien und zur Stärkung der Innenentwicklung entwickelt und umgesetzt werden. Mit dem auf mehrere Jahre laufenden Förderprogramm, das in Niedersachsen und NRW – insbesondere in ländlichen Regionen – seit vielen Jahren überwiegend erfolgreich umgesetzt wird, sollen junge Familien Zuschüsse von bis zu 10.000 Euro erhalten (z.B. für ein Altbaugutachten und für Kinder, gestaffelt nach der Anzahl der Kinder). Intendiert wird, zum einen einheimische junge Menschen/Familien an Oestrich-Winkel zu binden und zum anderen eine positive Entwicklung der Einwohnerzahlen durch Zuzug neuer Familien zu erreichen.
Neben den zu erwartenden positiven Effekten des Programms stellt sich die durchaus wichtige Frage, ob diese Maßnahme haushaltspolitisch und haushaltsrechtlich derzeit zu vertreten ist? Können wir Haushaltsmittel für eine Ausweitung „Freiwilliger Leistungen“ einplanen, obwohl die Stadt Oestrich-Winkel mit dem Land Hessen am 18.12.2012 den Konsolidierungsvertrag zur Teilnahme am Kommunalen Schutzschirm Hessen abgeschlossen hat und im Rahmen dieses Vertrages bestimmte Konsolidierungsmaßnahmen in unterschiedlichen politischen Handlungsfeldern einhalten muss?
Diese Fragen waren bereits Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen und Positionierungen in den drei zuständigen Ausschüssen: Jugend, Soziales, Kultur (JSSK), Haushalt und Finanzen (HFA) sowie Umwelt, Planen, Bauen (UPB). Überwiegend kristallisierten sich hier Bedenken wegen der Teilnahme Oestrich-Winkels am kommunalen Schutzschirm heraus, die den Gestaltungsfreiraum der Kommune einschränke, weshalb man die Punkte 1 und 2 des GRÜNEN-Antrag nicht unterstützen könne.
Wir GRÜNEN haben in der Zwischenzeit gründlich weiter recherchiert (auch in Rücksprache mit dem Hessischen Finanzministerium) und sind erneut zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Ausweitung freiwilliger Leistungen für diese zukunftsweisende (familienorientierte) Maßnahme in diesem Rahmen grundsätzlich möglich ist. Haushaltsmittel können einplant werden, sofern insgesamt ein ausgeglichener Haushalt erreicht wird. Das ist seit 2015 der Fall, seitdem erreichen wir unsere Konsolidierungsziele und sind keine defizitäre Kommune mehr. Der vertraglich festgelegte Konsolidierungspfad wurde in den Jahren 2013 und 2014 verletzt, die vereinbarten Defizitgrenzen konnten nicht eingehalten werden, zusätzliche Defizite hatten sich angehäuft. Für diese Überschreitung der Defizitgrenzen hat Oestrich-Winkel bereits Kompensationsmaßnahmen ergriffen.
Zusammenfassend lässt sich nach aktuellem Stand feststellen, dass Oestrich-Winkel für die Haushaltsjahre 2015, 2016 und 2017 jeweils mit einem leichten Plus abgeschlossen hat bzw. abschließen wird. Auch für die Folgejahre – insbesondere 2018 – wird nach aktuellen Hochrechnungen mit ausgeglichenen Haushalten bzw. mit Überschüssen zur Kompensation der Zielverfehlungen aus den Vorjahren zu rechnen sein. Damit könnte der Konsolidierungsvertrag im Hinblick auf das Erreichen des Haushaltsausgleichs und auch das zulässige Gesamtdefizit über den Konsolidierungszeitraum voraussichtlich eingehalten werden. An dieser Stelle noch ein Hinweis zu Ihrer Information: Der Konsolidierungsvertrag mit dem Land Hessen ist erfolgreich absolviert, wenn die Stadt Oestrich-Winkel in drei aufeinander folgenden Jahren einen ausgeglichen Haushalt in der Ergebnisrechnung nachweist (2015-2018).
Vor diesem Hintergrund und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung steht es der Stadt Oestrich-Winkel als mittlerweile nicht mehr defizitärer Kommune im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit grundsätzlich frei, zusätzliche freiwillige Leistungen zu veranschlagen. Die Stadt muss jedoch gewährleisten, dass die Verpflichtungen aus dem Konsolidierungsvertrag (inkl. der nachträglichen Kompensation der Zielverfehlungen) weiter eingehalten werden können. Davon können wir – wie ich eben aufgezeigt habe – ausgehen.
Uns GRÜNEN erscheint es notwendig und sinnvoll, das Förderprogramm für junge Familien zur Stärkung der Innenentwicklung einzurichten. Jetzt, nachdem meine GRÜNE Fraktion den Prozess der Ausweisung neuer Baugebiete an den Ortsrändern ohnehin nicht mehr aufhalten kann, wollen wir dennoch betonen: Die Weichen für die Zukunft unserer Stadt müssen rechtzeitig neu gestellt werden. Dazu gehört, dass neben der einseitigen Fokussierung auf neue Baugebiete, die Potenziale (Leerstände und Baulücken) in den Ortkernen ins Zentrum einer nachhaltigen Stadtentwicklungsperspektive gestellt werden müssen. Das von uns geforderte Programm „Jung kauft Alt“ ist allen Erfahrungen nach ein effizientes Mittel, die Ortsmitten wiederzubeleben. Und für junge Familien hat diese Strategie einen hohen Symbolgehalt. Deshalb sollten wir sie durch entsprechende Maßnahmen unterstützen und fördern.
Ein letzter Satz: Zu glauben, die kommunale Aufsichtsbehörde stünde bei der Ausweitung freiwilliger Leistungen für eine im demografischen Wandel besonders relevante Gruppe (junge Familien) in dem von uns geforderten (moderaten) Rahmen umgehend auf der Matte und würde weitere Einsparungen verlangen, verkennt die zukunftsweisende Zielsetzung des Programms, welches mit den Schutzschirmzielen durchaus vereinbar ist, (ausgeglichene Haushalte liegen seit 2015 vor). Ergänzend dazu würde sogar die Einnahmenseite (Einkommenssteuer, Gewerbesteuer, Kaufkraft …) mittel- und langfristig steigen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um fraktionsübergreifende Zustimmung der Punkte 1, 2 und 3 unseres Antrags.
SV Dr. Ute Weinmann
7. November 2016
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